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Der Traum vom “Goldenen Zeitalter”

Da staune ich nicht schlecht: Ein Schweizer Parlamentarier hält im Nationalrat eine Art Predigt. Es gehört zwar zur Tradition des Schweizerischen Nationalrats, dass jeweils das dienstälteste Mitglied die Sitzung einer neuen Legislatur eröffnet und eine Rede hält. Aber eine Predigt wird da nicht verlangt. Doch Gerhard Pfister, Präsident der Partei «Die Mitte», redet am 6. Dezember 2023 seinen Kolleginnen und Kollegen ins Gewissen und ermahnt sie, aus der Geschichte zu lernen. Dabei legt er  eine erstaunlich präzise Geschichtsanalyse vor, aber leitet aus dieser leider einen widersprüchlichen und gar naiven Lösungsvorschlag für die Zukunft ab.

Eine düstere Bilanz trotz Bildung und Aufklärung

Pfister zitiert einen längeren Abschnitt aus Stefan Zweigs «Die Welt von gestern». Darin beklagt dieser den naiven Fortschrittsglauben seiner Generation Ende des 19. Jahrhunderts. Damals herrschte ein starkes Vertrauen in die Macht der Vernunft, Wissenschaft und Technik, um alle Probleme zu lösen und eine bessere Welt zu schaffen. Kriege, Revolutionen und gewaltsame Umstürze würden bald überwunden sein und durch Toleranz und Konzilianz als Kräfte des Friedens abgelöst werden. Die Menschheit dachte auf dem Weg zur besten aller Welten zu sein, und der Glaube an ununterbrochenen Fortschritt hatte die Stärke einer Religion. Man wähnte sich am Beginn eines «goldenen Zeitalters». Zweig: «Mit Verachtung blickte man auf die früheren Epochen mit ihren Kriegen, Hungersnöten und Revolten herab als auf eine Zeit, da die Menschheit eben noch unmündig und nicht genug aufgeklärt gewesen. Jetzt aber war es doch nur eine Angelegenheit von Jahrzehnten, bis das letzte Böse und Gewalttätige endgültig überwunden sein würde, und dieser Glaube an den ununterbrochenen, unaufhaltsamen ‘Fortschritt’ hatte für jenes Zeitalter wahrhaftig die Kraft einer Religion; man glaubte an diesen ‘Fortschritt’ schon mehr als an die Bibel, und sein Evangelium schien unumstösslich bewiesen durch die täglich neuen Wunder der Wissenschaft und der Technik. […] An barbarische Rückfälle, wie Kriege zwischen den Völkern Europas, glaubte man so wenig wie an Hexen und Gespenster; beharrlich waren unsere Väter durchdrungen von dem Vertrauen auf die unfehlbar bindende Kraft von Toleranz und Konzilianz».

Pfister erwähnt, dass Zweig sein Buch kurz vor seinem Tod im Jahr 1942 völlig desillusioniert im Exil in Brasilien beendete. Zweig erlebte alles andere als ein «Goldenes Zeitalter». Durch sein Leben seien alle fahlen Rosse der Apokalypse gestürmt: Revolution und Hungersnot, Geldentwertung und Terror, Epidemien und Emigration, die grossen Massenideologien wie der Faschismus in Italien, der Nationalsozialismus in Deutschland, den Bolschewismus in der Sowjetunion.

Spätestens mit dem Ende des Kalten Kriegs träumte die Menschheit wieder von einer Welt in Frieden und Glück. Dazu gehörte auch Gerhard Pfister. «Meine Generation glaubte vor 1989 an die Überlegenheit unserer Gesellschaft und erst recht nach 1989 daran, dass die Geschichte der Welt nun friedlich zu Ende gehen würde,» hält er fest. Doch Anfang dieses Jahrhunderts sei er eines anderen belehrt worden. Sein schier unverbrüchlicher Fortschrittsglaube bekam tiefe Risse durch den Terroranschlag 9/11 in den USA, den Amoklauf im selben Jahr durch Friedrich Leibacher im Zuger Kantonsparlament, der 14 Politikerinnen und Politikern das Leben kostete, die vielen weltweiten Terroranschlägen bis heute, der Finanzkriese im Jahr 2008, die Pandemie 2020, der Krieg in der Ukraine 2022 und andere schreckliche Ereignisse.

Dieses ehrliche Fazit eines gebildeten und aufgeklärten Humanisten finde ich bemerkenswert. Trotz Bildung, Wissenschaft und Technik sind die Menschen immer noch in Hass, Gier, Neid, Lüge und Egoismus gefangen, die sie zu den grässlichsten Taten treiben. 80% der Nazis, die den Holocaust planten, hatten einen Hochschulabschluss. Die These Jean-Jaques Rousseau, dass der Mensch von Natur aus gut sei und er nur richtig erzogen werden müsse, um auch Gutes zu tun, ist längst widerlegt.  

Selbsttherapie durch das Licht der Aufklärung?

Pfister fragt: «Wie begegnen wir – der Nationalrat, die Bundesversammlung -, wie begegnet der Bundesrat diesen Herausforderungen, jetzt, in der Gegenwart der 52. Legislatur? […] Wie erreichen wir es, dass den Menschen von heute eine Zukunft ermöglicht wird, dass sie Perspektiven haben dürfen, die ihnen die ‘pursuit of happiness’ ermöglichen, so wie uns?» Er ist sich bewusst, dass die Möglichkeiten im Parlament einerseits gross, aber andererseits auch begrenzt sind. Diese Begrenzung der Macht ist m. E. angesichts der zunehmenden Autokratien und Diktaturen unserer Zeit sicher positiv. Das sieht auch Pfister so. Die Schweizer Institutionen hätten dafür zu sorgen, «dass, wie in der Präambel der Bundesverfassung vorgeschrieben, kein Mensch, kein Mitglied des Parlamentes allmächtig werden darf oder es auch nur werden kann.» Auch wenn unser Land wie kein anderes von den Apokalypsen der Welt verschont geblieben sei, so zeigten sich, so Pfister, dennoch immer mehr Risse und Brüche im bisher Selbstverständlichen.

Der Frieden und Wohlstand auch in der Schweiz in Gefahr? Durchaus! Und wie wenden wir diese Gefahr ab? Pfisters Lösungsansatz: «Brüche sind nötig, wenn etwas Neues entstehen soll. Risse entstehen, wenn das Alte, das Bewährte, weiterwachsen soll. In den Zwischenräumen zeigt sich die Zukunft.» Und dann zitiert der aus einem Lied von Leonhard Cohen «There is a crack in everything; that’s how the light gets in». Für Pfister ist es dieses Licht in den Rissen, das uns den Weg zeigen kann.

Und was genau ist dieses Licht? «Es ist das Licht der Aufklärung, das Licht unserer Werte, unserer Geschichte, unserer Kultur. Es ist das Licht der Menschlichkeit, der Zivilisation und der Vernunft. Wir müssen nur hinsehen – und dann handeln.» Pfister erhält grossen Beifall für seine Rede – und niemand bemerkt den Widerspruch. Eben erwähnte er die zerstörerische Kraft der Menschen trotz Aufklärung und Bildung und appelliert dennoch an die menschliche Vernunft und die menschliche Willenskraft als Garant für ein «Goldenes Zeitalter. Die Enttäuschung folgt spätestens in der nächsten Generation, wenn sich die Geschichte der menschlichen Grausamkeit wiederholt.

Christus: Das wahre Licht der Welt

Das Streben nach Licht, nach Erleuchtung ist kein neues Phänomen. Ungefähr 740 v. Chr. schrieb Jesaja: «Wie die Blinden an der Wand müssen wir tasten und tasten, als hätten wir keine Augen! Am Mittag sind wir gestrauchelt wie in der Dämmerung» (Jes 59,10). Aber eben dieser Prophet Jesaja gibt uns gleichzeitig das schönste Versprechen: «Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein grosses Licht. Die im Land der Finsternis wohnen, Licht leuchtet über ihnen». Meint er damit das Licht der geistigen Aufklärung? Ja, es ist eine Erleuchtung, aber eine geistliche. Die Bibel benutzt Bilder der Nacht und Finsternis, um den Zustand der Menschen zu beschreiben: «Verfinstert ist ihr Sinn, abgeschnitten haben sie sich vom Leben, das Gott gibt, denn Unwissenheit beherrscht sie, und verstockt ist ihr Herz» (Eph 4,18). Die Folgen dieses verfinsterten Verstands sehen wir im Terror, Hass und Egoismus dieser Welt. Dem setzt Christus Licht und Leben entgegen: «Ich bin das Licht der Welt. Wer mir folgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern das Licht des Lebens haben» (Joh 8,12). Jesus Christus bringt wahres Leben:

  • Ein Leben, das getragen ist, auch wenn es durch tiefe Not geht.
  • Ein Leben, das Zukunft hat, auch wenn kaum einer an die Zukunft glaubt.
  • Ein Leben, das Sinn hat, in einer Welt voller Sinnlosigkeit
  • Ein Leben, das ewig ist, in einer Welt der Vergänglichkeit.

Nicht das Licht der Aufklärung mit seinem naiven Glauben an das Gute im Menschen braucht die Schweiz, sondern das Licht des Christus, des Königs aller Könige und Herrschers aller Herrscher, das uns Leben und Frieden bringt.

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Hier kannst du die Rede von Gerhard Pfister nachlesen

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