«Kehrt um und bleibt am Leben!» (Ez 18,32).
Fortschritt und Veränderungen kommen weit besser an als Stillstand, ganz zu schweigen von Rückschritt. Wir werden ständig auf Fortschritt getrimmt. Wenn die Wirtschaft nur 2 % statt der erwarteten 4 % wächst, ist das tragisch. Wenn wirtschaftliche Stagnation eine Katastrophe bedeutet, so ist eine Rezession (Rückgang) der Super-GAU. Progressive haben einen leichteren Stand als Konservative, denn Neuerungen bedeuten oft Erleichterung oder mehr Freiheit. Wer wollte im Feudalsystem des Mittelalters leben, wo gewöhnliche Bürger keine Chancen hatten, es nach oben zu schaffen? Wer wollte auf die medizinischen Fortschritte verzichten, die viele Seuchen mit segensreichen Impfungen ausrotteten? Wer möchte bei einem Beinbruch mit dem Risiko leben, nachher nie mehr richtig gehen zu können oder an einer Infektion zu sterben? Und wer wollte auf die Kommunikations- und Verkehrsmittel unserer Zeit verzichten, die es uns ermöglichen, Freunde an jedem Ort der Welt in wenigen Stunden zu besuchen oder sich mit ihnen innerhalb von Sekunden zu unterhalten? Nein, wirtschaftliche, technische und gesellschaftliche Fortschritte haben Wohlstand gebracht, das Leben angenehmer gemacht und die Lebenserwartung enorm erhöht.
Fortschritt wohin?
Klimaaktivisten, Vegetarier und Veganer, Umwelt- und Tierschützer, Bewahrer von alten Gebäuden und ganzen Dorf- und Stadtteilen, hitzige Debatten um ethische Fragen in der High-Tech-Medizin, politisches Gerangel um Biodiversität, Bevölkerungswachstum und Verschandelung der Landschaft durch Windkraftanlagen weisen auf Kehrseiten des Fortschritts. In vielen Gebieten wollen wir wieder zurück zu weniger Wachstum, zurück zu Altbewährtem, als es noch imposante Gletscher, schneereiche Winter, kristallklare Gewässer, gesunde Nahrungsmittel, mehr Artenvielfalt gab. Zurück zu mehr Genügsamkeit ist die Losung. Ausgerechnet sogenannte progressive Bewegungen drängen nicht nach mehr Fortschritt, sondern zur Umkehr. Mehr als ihnen bewusst ist, vertreten sie konservative Inhalte und Moral, allerdings mit vielen Verboten. Fortschritt bedeutet für sie unter Umständen Rückschritt: Darum fordern sie weniger Konsum und mehr Verzicht, weniger Freiheit, dafür mehr Regeln.
Fortschritt als Kehrtwende
Umkehr zu Gott und zu dem, was er uns befiehlt und was ihn ehrt, verspricht Leben. Umkehr wäre daher vor allem in theologischer Hinsicht gefragt. Stattdessen propagieren sog. Postevangelikale den theologischen Fortschritt mit der teilweise radikalen Abkehr von zweitausend Jahre alten verbindlichen Überlieferungen, die gewisser und unerschütterlicher sind als das Leben selbst und alle unsere Erfahrungen. Mit ihren skeptischen und subjektiven Ansichten säen sie Zweifel und Unglauben in die Herzen der Gläubigen. Die Versuchung kommt, einen Gott zu verkündigen, der in seinem Wissen und seiner Macht eingeschränkt ist, oder einen Christus, der lediglich ein moralisch vorbildlicher Mensch war; Sünde wäre ein kleines Missgeschick ohne grössere Konsequenzen. So ist Gnade entsprechend wenig wert und auch nicht wirklich notwendig. Wenn wir segnen, was Gott verurteilt, und verurteilen, was Gott segnet, wenn wir schliesslich Gottes Reich mit sozialen und politischen Mitteln bauen wollen und nicht von Gott empfangen, dann nenne ich das einen Fortschritt, der direkt in den theologischen Abgrund führt.
Der englische Schriftsteller C. S. Lewis warnte: «Fortschritt heisst doch, dass wir dem Ort näherkommen, den wir erreichen wollen. Falsch abgebogen aber, entfernen wir uns davon. Sind wir auf der falschen Strasse unterwegs, heisst Fortschritt, eine Kehrtwende zu machen, um zurück zur richtigen Strasse zu gelangen. Wer in diesem Fall zuerst umkehrt und zurückgeht, ist der Fortschrittlichste.» Möge Gott uns die Gnade und den Mut schenken, in diesem Sinne zu den Fortschrittlichsten zu gehören!
Fortschritt bzw. Progress in der Theologie ist historisch gesehen meist eine Rückkehr zum Atheismus oder Agnostizismus. Spurgeon drückte es so aus: “Es gibt in der Theologie nichts Neues ausser dem Irrtum.
Eine hilfreiche Gegenüberstellung von liberalem und konservativen Christentum findest du hier: