Du betrachtest gerade Wo war Gott in Ausschwitz?
Wo war Gott in Ausschwitz?

Wo war Gott in Ausschwitz?

Im Sommer besuchten meine Frau und ich das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz. Schon während der Anreise verstummten unsere Gespräche und dunkle Gedanken schlichen in unsere Köpfe. Uns war bewusst: Auf einer ähnlichen Strecke, die wir heute bequem mit dem Auto fahren, wurden vor etwas mehr als 80 Jahren hunderttausende Menschen – schlimmer als Vieh – in langen Güterzügen an diesen grausamen Ort transportiert. Für die meisten endete hier das Leben. Mindestens 1,1 Millionen Menschen, die allermeisten von ihnen Juden, wurden in den Gaskammern ermordet oder starben an Hunger, Krankheit und Erschöpfung. Die dreistündige Führung durch diesen Ort des Grauens hat uns gezeigt, wie grenzenlos Hass und Verachtung werden können – und wozu Menschen fähig sind.

Effizienz des Tötens

Zwei Dinge haben sich besonders in mein Gedächtnis eingebrannt: Zum einen die erschütternde „Effizienz“ der Nazi-Mordmaschinerie. Bis zu 6000 Juden wurden an einzelnen Tagen in den Gaskammern ermordet. Das Töten von weit über einer Million Menschen wurde bis ins kleinste Detail geplant und unaufhörlich optimiert, Woche für Woche. Ziel war es, in möglichst kurzer Zeit so viele Menschen wie möglich auf möglichst kostengünstige Weise zu töten. Angefangen beim Neubau der Zugrampe, die den Todesweg in die Gaskammern noch schneller machte, über die psychologischen Tricks der Aufseher, die Panik und Chaos vermeiden sollten, bis hin zur Entwicklung von Gas, das preisgünstig sein musste und dessen Granulat durch eine technische Vorrichtung wiederverwendbar gemacht wurde. Die Selektion nach „arbeitsfähig“ und „arbeitsunfähig“ war in Sekundenfrist erledigt. Selbst beim Verbrennen der Leichen wurde auf maximale Effizienz geachtet – durch das „optimale Lagern“ der Körper und den absurden Versuch, sogar die Asche noch zu verwerten. Das Zweite, was mich zutiefst erschüttert hat, ist die unfassbare Grausamkeit, mit der die Nazis ihre Opfer nicht nur töteten, sondern sie mit vergnügtem Sadismus demütigten und folterten.

Gott war auch in Auschwitz

Wo war Gott? Diese Frage drängt sich unweigerlich auf, wenn wir uns mit diesen Gräueltaten auseinandersetzen. Warum hat er nicht eingegriffen und wie in den Zeiten des Propheten Elia die Feinde Gottes mit Feuer vernichtet? Wenn wir uns fragen, wo Gott in Auschwitz war – und damit vielleicht versteckt einen Vorwurf erheben – sollten wir uns zuerst vergegenwärtigen, dass er der Gott ist, der die Sonne über Gute und Böse scheinen lässt, und von dessen Fürsorge wir Menschen jeden Tag leben (Mt 5,45). Dabei stellen wir jedoch selten die Frage, wo Gott in all dem Guten zu finden ist! Ja, Gott war auch in Auschwitz. Nicht als der Gott, der Verbrecher im Augenblick ihrer Taten vernichtet, sondern als der Gott, der sie warnt: „Du sollst nicht morden! Alle Menschen sind nach meinem Bild geschaffen und daher mit Würde ausgestattet. Wer Menschen verachtet und ermordet, dessen Blut werde ich einfordern!“ (Ex 20,13; Gen 9,5-6). Gott trägt keine Verantwortung für das Morden in Auschwitz und anderswo; vielmehr ist das die Folge einer grenzenlosen Gottlosigkeit.

Nie wieder?

Am Ende erzählte uns der polnische Guide, dass er den Satz „Nie wieder Auschwitz!“ leid ist und ihn als heuchlerisch empfindet. «Hat es seitdem keine Genozide, keinen Hass, keine Verachtung, keine Kriege oder Gräueltaten mehr gegeben?», fragte er. Er verabschiedete sich mit der Bemerkung: «Wir können die Verantwortung nicht auf andere abschieben. Jeder von uns ist persönlich verantwortlich, damit so etwas nie wieder geschieht!» Er hat recht! In unseren Familien, in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz zeigen wir häufig, dass auch wir das Potenzial in uns tragen, Macht über andere zu missbrauchen, sie zu verleumden, zu quälen und zu erniedrigen. Wenn wir unseren moralischen Kompass nach Gottes Willen kalibrieren, stellen wir oft erschrocken fest, dass auch wir nicht nur um ein paar Grad abweichen, sondern um satte 180 Grad!

Beitrag teilen

Entdecke mehr von Felix E. Aeschlimann

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Schreibe einen Kommentar