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Verstand und Gefühl

Wer in unserer Gesellschaft Emotionen weckt, hat die besten «Argumente». Musik und ganz besonders die zweckoptimierten Bilder oder Videoclips lassen unsere Herzen höherschlagen, prägen unser Denken und bewegen uns sogar zum Handeln, selbst wenn die Fakten auf der Strecke bleiben. Ausgerechnet unsere heutige Wissensgesellschaft ist in grossen Teilen antiintellektuell. Das mag seine Gründe darin haben, dass Intellektuelle nicht selten einen Hang zur Selbstüberschätzung haben und nicht merken, dass sich ihre Gelehrtheit bei genauer Betrachtung meist auf einen schmalen Lebensbereich beschränkt. So ist es durchaus verständlich, wenn nicht unbedingt die akademischen Genies als Staatspräsidenten oder CEOs gewählt werden. Denn wer motivieren und führen will, braucht mehr als wissenschaftliche Präzision.

Kopf ohne Herz

Christliche Akademiker vermitteln manchmal den Eindruck, ein guter Christ oder zumindest ein wirklich effizienter Pastor besitze mehrere akademische Grade in der Theologie. Das ist dumm und kurzsichtig. Immer mehr Christen entwickeln deshalb eine Abneigung gegen wissenschaftliches Denken oder theologische Ausbildung und bezeichnen sich als dogmenfeindlich. Für sie steht das Herz und nicht der Kopf im Zentrum der Christusnachfolge. Persönlich finde ich diese Aussage durchaus sympathisch. Unser Glaube wird ja nun definitiv nicht als ein wissenschaftlich berechenbares Unternehmen beschrieben, sondern entspricht viel eher einer Liebesbeziehung, die bekanntlich einen hohen Grad an Emotionalität aufweist. Dennoch reicht es schlicht nicht, wenn wir uns nur auf Emotionen verlassen und den Verstand in Sachen Glauben für mehr oder weniger hinderlich halten. Wenn uns persönliche Betroffenheit und diffuse Gefühle in der Jesusnachfolge leiten und das methodische und nachvollziehbare Erforschen und Auslegen von Gottes Wort ersetzen, ist Sektiererei nicht fern.

Herz ohne Kopf 

Wer behauptet, er folge einfach seinen Gefühlen oder einer inneren Stimme, kann mit Verständnis und Zustimmung rechnen, auch wenn er im völligen Widerspruch zum biblischen Befund steht. Persönliche Betroffenheit hat in letzter Zeit viele biblische Glaubenssätze kaltblütig aus dem Weg geräumt. Da wird Gott äusserst sentimental zum Diener degradiert, der uns jeden erdenklichen Wunsch erfüllt und Wohlstand, Gesundheit und Reichtum garantiert. Ehebruch oder Abtreibung werden mit der nötigen Einfühlsamkeit und viel Applaus legitimiert. Glaubensinhalte sind unwichtig, Hauptsache man zeigt warmherzige, zustimmende positive Gefühle Gott gegenüber. Die Gemeinde reagiert selten schockiert, wenn ein ökologischer Bestseller oder eine ökonomische Methodenlehre als Predigtgrundlage dient und nicht die Bibel. Wer dabei auch noch die Herzen berührt, erntet tosenden Beifall, denn er beschwört mit den Sinnesreizen eine höhere Macht, die über jeden Zweifel erhaben ist. So haben Gefühle schliesslich immer recht. 

Kopf und Herz

Vieles, was Christen rührselig behaupten oder emotional als richtig empfinden, entpuppt sich schlicht als falsch. Andererseits ist vieles richtig, was Christen für falsch halten. Dies zu unterscheiden, erfordert ein methodisch sorgfältiges Vorgehen beim Studieren der Bibel und eine gut begründete Theologie, die uns hoffentlich zum eigentlichen Ziel führt: Gott mit unserem ganzen Wesen (Herz und Verstand) zu lieben (Deuteronomium 6,5). Glauben mit Kopf und Herz. Darauf kommt es an. Der Verstand nämlich schützt den Glauben davor, sektiererisch oder schwärmerisch zu werden, während die Liebe den Glauben vor kaltem Formalismus bewahrt. 

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