Da machte er eine Peitsche aus Stricken und trieb alle aus dem Tempel hinaus, auch die Schafe und die Rinder, und das Geld der Wechsler schüttete er aus, die Tische stiess er um (Joh 2,15)
Kommt zu mir, all ihr Geplagten und Beladenen: Ich will euch erquicken (Mt 11,28).
Jesus mit der Peitsche in der Hand – das ist kein sanftes Sonntagsschulbild. Der entschlossene Mann aus Nazareth bindet sich kurzerhand ein paar Stricke zusammen, treibt die Händler aus dem Tempel, kippt ihre Tische um und lässt die Münzen durch die Hallen rollen. Und derselbe Mann sagt später: „Kommt zu mir, ihr Geplagten und Beladenen: Ich will euch erquicken.“ Jesus, der einerseits den überforderten und gebrochenen Menschen Trost spendet und andererseits denen, die Gott als Geschäftsmodell nutzen, das Handwerk legt – das ist das ganze Bild.
Kompromisslos heilig und barmherzig
Heiligkeit und Liebe, Gerechtigkeit und Gnade, Gericht und Evangelium – das ist die Botschaft des Christus. Luther brachte das im 16. Jahrhundert in seiner Disputation gegen die Antinomer auf den Punkt: „Siehst du Angefochtene und Zerknirschte, denen predige Christus und die Gnade, soviel du kannst, aber nicht den Sicheren, Trägen, Ehebrechern und Hurern und Lästerern.“ Wer verzweifelt am Boden liegt, braucht Gnade. Wer sich überheblich in der Sünde suhlt, muss das Urteil des Gesetzes hören. Das Gesetz schränkt das Böse ein und zwingt den Menschen, sich ehrlich im Spiegel Gottes zu betrachten – was im Idealfall zur Umkehr führt. Das Evangelium dagegen führt aus der Verzweiflung zur Vergebung und in die Freiheit.
Der gute Hirt und der siegreiche Feldherr
Jesus ist Hirt mit einem Stab, um die Schafe sanft zu führen und mit einem Knüppel, um wilde Tiere zu vertreiben (Psalm 23). Er ist nicht nur der gute Hirt mit dem milden Blick, sondern auch der erzürnte Feldherr, der mit einem eisernen Zepter über seine Feinde herrscht, sie besiegen und bestrafen wird (Offb 19,11-21). Jesus begnügt sich nicht mit Worten und Diplomatie. Wenn nötig, greift er mit wortwörtlicher Gewalt ein, denn anders lässt sich das Ausmisten des Tempels und der Sieg über seine Feinde in Offb 19 nicht beschreiben. Nur reden bringt nichts, wenn Bosheit sich breitmacht. Selbst die modernen Friedensromantiker Westeuropas beginnen langsam zu merken, dass Freiheit und Gerechtigkeit sich nicht immer mit Blumensträussen verteidigen lassen. Auch Paulus sah das nüchtern. In Römer 13 billigt er der Regierung das Schwert zu – nicht zum Selbstzweck, sondern um das Böse zu stoppen. Und in der Kirche? Da gilt dasselbe Prinzip. Wenn ein Mensch durch sein Verhalten andere zerstört, dann muss gehandelt werden. Nicht wegsehen, nicht beschönigen, sondern Grenzen setzen. In 1. Korinther 5 fordert Paulus, zerstörerische Einflüsse zu entfernen – drastisch, ja, aber zum Schutz der Gemeinschaft. Diese Massnahme ist ebenso entschieden wie die von Jesus im Jerusalemer Tempel.
Doch bei aller Härte: Ziel ist immer die Umkehr, nicht die Vernichtung. Wer einsichtig wird und bereut, findet bei Gott Vergebung – grosszügig, unbegrenzt, siebenmal siebzigmal, wie Jesus sagte. Der gute Hirt pflegt die Verwundeten, sucht die Verlorenen und führt sie zu frischem Wasser – zum ewigen Leben. Aber er trägt eben auch einen Stock. Denn er weiss: Barmherzigkeit gegenüber dem Wolf bedeutet Grausamkeit für die Schafe!
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